In Bad Wörishofen entwickelte Sebastian Kneipp sein Naturheilverfahren, das aus weit mehr besteht als Wassertreten. Gäste kurieren sich am Geburtsort der deutschen Wellness aus und kehren fitter nach Hause zurück.

Menschen ziehen sich die Hosenbeine hoch und steigen barfuß in den Wörthbach, der sich durch den Ort schlängelt. Sie staksen im Storchengang gemächlich hin und her. Von Hektik keine Spur. Das gleiche Bild an den Wasserbecken im Kurpark, ja überall im Ort. Wir sind in Bad Wörishofen, der Heimat des Wassertretens. Dem Ursprungsort von Wellness in Deutschland.

Über den Ort verteilt gibt es 23 dieser Tretbecken. Die speziellen Pools, in denen die Kurgäste bis zu den Knien oder auch ihre Unterarme eintauchen, verdanken sie dem Pfarrer Sebastian Kneipp, der hier lebte und wirkte. Vielen gilt er als Begründer der Wellnessbewegung, und Bad Wörishofen ist der Schauplatz dazu.

„Wenn es für mich ein Heilmittel gibt, so wird es das Wasser sein“, sagte Kneipp. Er spürte es am eigenen Leib, als er als Student an Tuberkulose erkrankte. Er unternahm Tauchbäder in der Donau und gesundete. 2021 feiert man Kneipps 200. Geburtstag.

Im Laufe der Jahre entwickelte Kneipp mehr als 120 Wasseranwendungen, das Wassertreten ist nur die bekannteste davon. Unter der Aufsicht von Ärzten und therapeutischem Personal in Kurhotels und -pensionen nehmen die Gäste Armbäder und Gesichtsgüsse vor. Sie bekommen mit einer Gießkanne kaltes Wasser über die Arme gegossen und verpassen sich mit einem Schlauch Schenkelgüsse.

Der Effekt: Gefäße werden durchblutet, der Kreislauf kommt in Schwung, Abwehrkräfte werden gestärkt. Kneipp-Anwendungen sind ein Turbo für die Gesundheit. Sie wirken präventiv und können zur Heilung und Rehabilitation beitragen. Und sie haben einen kosmetischen Effekt, denn Güsse straffen die Haut. „Espresso des Kneippianers“ – so wird die belebende Wirkung eines kalten Armbads beschrieben. Wassertreten kurz vor dem Zubettgehen kann dagegen für erholsamen Schlaf sorgen.

Die Tretbecken in Bad Wörishofen können kostenfrei genutzt werden, sind mit einer Anleitung versehen, sodass Sie jederzeit auch selbsttätig kneippen können. Im Storchengang wird Kopfschmerz vertrieben, der Blutdruck gesenkt, man härtet ab. Und ist meist fitter, wenn es wieder nach Hause geht. Ärzte vor Ort empfehlen einen Kuraufenthalt von mindestens drei bis vier Wochen, damit die Therapie wirken kann. Und Sie nehmen ein Stück Wörishofen mit nach Hause: Denn Kneippen können Sie auch daheim. Es genügt ein Schlauch in der Dusche und eine Fußbadwanne oder ein Bach in der Nähe zum Staksen. Eine Grundregel gilt immer: nie kaltes Wasser auf kalte Haut, sonst droht Erkältung.

Über die Jahrzehnte verfeinerte Kneipp seine Lehre, die aus fünf Säulen besteht und so flexibel ist, dass sie jeder Mensch anwenden kann: Neben der Wassertherapie umfasst sie die Bereiche Kräuter und Heilpflanzen, Bewegung, Ernährung und als übergeordnetes Ziel die innere Ordnung. Wer kneippt, soll lernen, wie er besser Struktur in sein Leben bringt, sich nicht überlastet, wie er nicht nur körperliche, sondern auch seelische Entspannung findet.

Kneippen ist eine ganzheitliche Lebensphilosophie wie Ayurveda oder Yoga, und es gilt als das einzige Naturheilverfahren einer Traditionellen Europäischen Medizin – vergleichbar mit der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM). 2015 hat die deutsche UNESCO-Kommission „Kneippen als traditionelles Wissen und Praxis nach der Lehre Sebastian Kneipps“ in das bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.

Und Bad Wörishofen ist der perfekte Ort, um den Schlüssel zum kneippschen Glück zu finden. Im hügeligen Unterallgäu Bayerns gelegen, können Sie wandern, radeln, walken oder spazieren gehen und haben damit schon den einen Ratschlag befolgt – wenn Sie es nicht übertreiben: „Untätigkeit schwächt, Übung stärkt, Überlastung schadet“, sagte Kneipp. Mit aufgewärmtem Körper kommen Sie gut vorbereitet für die nächste Wasseranwendung zurück ins Hotel oder den Kurpark, der selbst zu Spaziergängen einlädt und sie die kneippsche Lehre hautnah erleben lässt.

Neben dem Wassertreten können Sie über einen Barfußpfad wandern. Anderthalb Kilometer geht es durch Zapfengrube und Schlammgraben, über Sand und durch den Bach. Ein Labyrinth führt Sie über Stein, Holz und Kirschkerne, da ist die Fußmassage gleich erledigt. Ein weiterer Barfußweg leitet Sie hinaus in die Natur zu einer Kneippanlage. „Der Anfang der Abhärtung bleibt immer das Barfußgehen“, sagte Kneipp.

Und er sagte noch etwas, das die Kräutersäule seiner Lehre auf den Punkt bringt: „Die Natur ist die beste Apotheke.“ Der „Kräuterpfarrer“ erforschte selbst über vierzig Pflanzen und ihre Heilkräfte und beschrieb die Wirkung: Melisse für besseren Schlaf, Anis gegen Krämpfe, ein Kleiebad gegen Juckreiz oder Thymian und Eukalyptus gegen Bronchialerkrankungen.

In den Kureinrichtungen nehmen die Gäste heiße Wannen mit Badezusätzen, trinken mit frischen Kräutern aufgebrühte Tees, Tinkturen versprechen Linderung. Bei einem Spaziergang im Kräutergarten des Kurparks erfahren die Gäste, wie Heilpflanzen wachsen, blühen und gedeihen. Zum Park gehört auch ein Aromagarten mit mehr als 250 verschiedenen Duftpflanzen. Und tief Luft holen, heißt es auch an einer Wand aus mit Salz überzogenen Reisigbündeln der kostenfrei nutzbaren Gradieranlage. Das Einatmen der salzhaltigen Luft wirkt schleimlösend und entzündungshemmend.

Im grünen Bad Wörishofen, wo kaum Autos fahren, weil der Verkehr beruhigt wurde, wacht Kneipp höchstpersönlich als große Statue. Eine Straße wurde nach ihm benannt, im alten Kloster ist ein Kneipp-Museum untergebracht, welches das Leben des einstigen Beichtvaters nachzeichnet. Bald kann auch durch Bayerns ersten Heilwald gewandelt werden, der derzeit geplant wird. Erholungsuchende spüren beim „Waldbaden“ nach der japanischen Tradition „Shinrin-yoku“ die Heilkraft der Bäume. Das Waldklima ist rein, die Luftfeuchtigkeit höher. Das wirkt gegen Atemwegserkrankungen und Stress – eine perfekte Ergänzung zum Kneippen.

Das Kneippen ist aktueller denn je in einer Welt, in der Menschen sich nach Quality Time sehnen oder die Work-Life-Balance austarieren wollen. Auch Kneipps Haltung zum Essen könnte in jeder Zeitung stehen: „Mehr von der Pflanze, weniger vom Tier.“ In Bad Wörishofen ist dies aber keine neue Forderung, sondern Traditionspflege, die in den vielen Restaurants und Gasthäusern auf den Teller kommt. Ausgewogene Gerichte finden sich auf den Speisekarten, Vollwertküche mit Vitaminen, Spurenelementen und Mineralien. Nicht erst seit gestern setzen Profiköche auf Mischkost und verwenden dabei regionale Produkte.

Vollwertküche mit Kräutern aus dem Klostergarten wird zum Beispiel am Ursprungsort der kneippschen Lehre serviert: im Dominikanerinnenkloster, der Keimzelle der Bad Wörishofener Kur- und Erfolgsgeschichte. Dort, wo Pfarrer Kneipp seine Naturheilkunde verfeinerte, kann sogar übernachtet werden. Seit 1981 ist in den alten Gemäuern, durch dessen Gänge der Wellnesspionier wandelte, ein Hotel untergebracht. Mit eigener Bäderabteilung, versteht sich.